Ein weiterer Recherchebericht

Es ist Samstagabend kurz nach 20 Uhr. Zusammen mit drei weiteren freiwilligen Helfern bereite ich unsere Recherche für die heutige Nacht vor.

Heute stehen zwei mittelgroße Schweinemastanlagen auf dem Programm. Was uns genau erwartet, wissen wir nicht. Nur so viel, dass eine Anlage direkt an einem Wohnhaus liegt und wir hier besonders vorsichtig sein müssen, um nicht entdeckt zu werden.

Sorgsam packen wir unsere Rucksäcke mit dem nötigen Equipment, wie Walkie-Talkies, GPS, Handschuhe, Taschenlampen, Overalls, Mundschutz und natürlich ganz wichtig: Unsere Videokamera, um alles zu dokumentieren.

Um 22 Uhr geht es dann los. Bevor wir eine Stunde später unser Ziel erreichen, machen wir noch einen Zwischenstopp an einer Tankstelle, um uns eine aktuelle Tageszeitung zu kaufen. Schließlich wollen wir dokumentieren, dass die Aufnahmen aktuell sind.

Am Ziel angekommen parken wir abseits der Anlage und versuchen diese so unbemerkt wie möglich zu erreichen. Die Dunkelheit in der heutigen Nacht kommt uns hierbei sehr gelegen. Nach kurzer Wanderung kommen wir an der ersten Schweinemastanlage an. Sie liegt zum Glück abseits vom Dorf. K. positioniert sich mit Ihrem Walkie-Talkie am Weg, von wo aus sie gut im Überblick hat, ob ein Auto den Feldweg entlang kommt. Wir anderen drei betrachten derweil die Anlage von außen. Als erstes schauen wir, ob eventuell jemand da ist. Dies ist allerdings nicht der Fall. Nur einen Bewegungsmelder müssen wir umgehen, um nicht das Licht im Hof auszulösen.

Während wir die Anlage einmal umrunden und dabei gleich testen, ob eine der Türen offen ist, müssen wir leider feststellen, dass dem nicht so ist. „Es muss doch irgendeinen Weg rein geben“ flüstere ich enttäuscht den anderen zu. J. zeigt auf das große Scheunentor. Wir betrachten es genauer und stellen fest, dass es einen kleinen Spalt gibt, durch den man eventuell hindurch kriechen kann. Ich ziehe meine Jacke aus und schaffe es tatsächlich mich durch den kleinen Spalt zu quetschen.
Vom Umrunden der Anlage weiß ich, dass es hinten ein Fenster gibt und flüstere den anderen zu, dass ich es ihnen öffnen werde.

Nun muss ich erstmal ganz allein durch die Anlage, um zum Fenster auf der Rückseite zu kommen. Doch zuerst ziehe ich mir den Mundschutz an, da der Geruch schon in den Gängen unerträglich ist.

Mit meiner Taschenlampe bewaffnet wage ich mich langsam voran und leuchte vorsichtig um jede Ecke. Während ich mir draußen noch sicher war, dass hier wohl keiner da ist, bin ich mir jetzt plötzlich doch etwas unsicher. Ein mulmiges Gefühl, wenn man in einem dunklen langen Gang steht und überall Schiebetüren sind, hinter denen man Geräusche hört. Doch langsam erreiche ich das Fenster auf der Rückseite und meine Schritte werden schneller. Ich leuchte noch mal nach hinten in den dunklen Gang, da ich schon wieder ein lautes Geräusch von dort gehört habe. Doch außer ein paar alten Geräten ist dort nichts.

Am Fenster angekommen, öffne ich dieses für die beiden anderen. Nun ziehen wir uns erstmal unsere Overalls, Überschuhe, Handschuhe und die anderen auch ihren Mundschutz an. Als nächstes packe ich die Videokamera aus und gebe J. den Fotoapparat. N. bekommt das Walkie-Talkie und ist im ständigen Kontakt mit K. Sie gibt ihr alle zwei Minuten ein Signal, dass draußen alles in Ordnung ist, damit wir hier drin in Ruhe filmen können, ohne ständig auf der Hut sein zu müssen.

Nachdem alles vorbereitet ist, laufen wir zusammen durch den langen Gang. Dies ist wesentlich angenehmer als zuvor, als ich noch alleine hier lang musste.

Wir öffnen die erste Schiebetür auf der rechten Seite und befinden uns nun im ersten Raum mit mehreren Buchten, die alle randvoll mit Schweinen sind. Wir verschaffen uns erstmal einen groben Überblick und gehen dann von Schiebetür zu Schiebetür, bis uns ein Raum besonders auffällt. Hier sieht alles etwas anders aus. Irgendwie wirkt hier alles viel älter als in den anderen Räumen. Die Fliesen an den Wänden sind zerbrochen und die Gitterstäbe sind total verrostet. Trotz allem, sind auch hier alle Buchten voll mit Schweinen. Und der Geruch in diesem Raum ist kaum auszuhalten. Die Ammoniakkonzentration ist hier so hoch, dass unsere Augen sofort anfangen zu brennen und das Atmen, trotz der Atemmasken, sehr unangenehm ist. Wie muss es wohl den Schweinen gehen, die immer hier sein müssen? Schaut man in ihre traurigen Augen sieht man sofort, wie entzündet sie sind. Außerdem sind die Schweine fast die ganze Zeit am Husten. Teils so stark, dass einige von ihnen schon Nabelbrüche haben, was man an den herunterhängenden Tumoren erkennen kann. Viele der Schweine sind verletzt und wirken sehr lethargisch. Trotzdem sind sie sehr neugierig und beschnuppern uns, als wir eine der Buchten betreten.

Ich hocke mich hin und fange an das Ganze zu filmen. Im Kameralicht sieht alles noch viel schlimmer aus, als noch eben im kleinen Lichtkegel der Taschenlampe. Mir fallen sofort die Vereiterungen auf, die einige Schweine haben. Ein Wunder ist dies nicht, wenn man die rostigen Gitter und die verschmierten Exkremente auf dem Boden und an den scharfkantigen Fliesenstücken betrachtet.

Während ich all diese armen Tiere mit ihren Verletzungen und Schmerzen betrachte, den Geruch hier kaum aushalte und im Kot fast ausrutsche, steigt ziemliche Wut in mir auf. Wie kann einem so etwas egal sein? Wie kann man hier jeden Tag rein gehen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben? Wie kann man dazu fähig sein, diese armen Tiere gefangen zu nehmen und sie hier mit ihren Schmerzen und unversorgten Wunden leiden zu lassen? Der Blick auf das Treibgitter, welches an der Wand hängt, machen die Gedanken nicht gerade besser.

Schnell werde ich aus meinen Gedanken gerissen als mich eines der Schweine anstupst und scheinbar besorgt an mir schnüffelt. Ich schaue ihm in die Augen und meine Wut verwandelt sich plötzlich in Traurigkeit. Noch bevor mir die Tränen anfangen zu laufen, tippt mir J. auf die Schulter und zeigt auf seine Uhr. Es ist mittlerweile schon 2 Uhr und wir müssen aufbrechen, um noch rechtzeitig zur anderen Anlage zu kommen.

Von Anlage A zu Anlage B sind es nur ein paar Minuten Fahrt. Diesmal parken wir noch etwas weiter weg, da hier das Wohnhaus direkt neben der Schweinemast ist. Die Anlage diesmal ist auch ein ganzes Stück größer als die von eben. Hier brauchen wir wohl zwei Personen, die Wache schieben und sind somit auch drin nur noch zu zweit. Die Wachen sind schnell positioniert und diesmal sind auch alle Türen geöffnet. J. und ich öffnen die Tür, die am weitesten vom Wohnhaus entfernt ist.

Wie immer stehen wir in einem langen Gang mit lauter Schiebetüren. Hinter jeder Schiebetür erwarten uns wieder diese schrecklichen Bilder, von denen man sich wünschte, sie nie gesehen zu haben.

Wir gehen in den ersten Raum. Auch in dieser Anlage sind wieder enge Buchten, voll mit Schweinen, die starke Verletzungen haben. In der einen Bucht liegt ein totes Schwein, das wohl schon etwas länger dort liegt. Die anderen Schweine nutzen es als einziges Spielelement und weiden es förmlich aus. Ein absolut unnatürliches Verhalten, aber durch die reizarme Umgebung wohl die einzige Möglichkeit die extreme Langeweile zu besiegen. Ich betrete die Bucht und filme das Ganze. Die Schweine hier sind sehr ängstlich. Trotzdem treibt sie die Neugier dazu mich zu beschnüffeln. Ich fange an sie zu streicheln und sie schauen gleich viel zufriedener. Anfangs ist es ein sehr schönes Gefühl als ich einem Schwein in die Augen schaue und es sanft über den Rüssel streichle. Für ganz kurze Zeit kann ich vergessen, wo ich hier eigentlich bin. Doch die Realität holt mich schnell wieder ein. Überall dieser Kot, diese schrecklich trostlose Umgebung, die schrecklichen Geräusche der Futterautomaten und so viele verletzte Tiere. Das anfangs schöne Gefühl wandelt sich sehr schnell in eine Mischung aus Traurigkeit und Wut. Ich streichle dem Schwein zum Abschied noch mal über den Rücken und verlasse den Raum.

Kaum betreten wir den nächsten Raum, fallen uns sofort die blutigen Schwänze und Ohren der Schweine auf. Während im Nachbarraum ein totes Schwein als einzig verbleibende Option zu irgendeiner Art Beschäftigung herhalten muss, knabbern sich hier die Schweine als Beschäftigung gegenseitig die Schwänze und Ohren ab. Wieder ein untypisches Verhalten, welches auf die Verzweiflung dieser Tiere hier hinweist.

Wir machen so viele Aufnahmen wie möglich und gehen weiter in die nächsten Räume. Je näher wir dem Wohnhaus kommen, umso unerträglicher wird der Ammoniakgeruch. In der Mitte der Halle kann ich es trotz Atemschutz kaum noch aushalten. Die Augen tränen und brennen furchtbar, meine Lunge schmerzt und ich bekomme kaum noch Luft. Ich muss erstmal kurz nach draußen, da ich es hier drin nicht mehr aushalte.

Nach der kurzen Pause an der „frischen“ Luft schauen wir uns die weiteren Räume an. Hier befinden sich noch viel kleinere Buchten, in denen jedoch bereits wesentlich größere Tiere zusammen gepfercht sind. Die Schweine können sich hier kaum bewegen. In einer Bucht schlafen sie. Alle liegen auf dem Boden, eins davon liegt sogar auf den anderen Schweinen, weil es nicht mehr zwischen die anderen passt. Ich versuche in eine der Bucht zu gehen und die Schweine zu filmen, was durch die extreme Enge beinahe unmöglich ist. Hierbei fällt mir auf, dass einige der Schweine Knochenbrüche haben. Die Gelenke sind extrem geschwollen und blau, teilweise sogar vereitert. Ein Schwein hat an drei Gliedmaßen mehrfache Brüche und kann sich nicht mehr fortbewegen. Es schreit laut vor Schmerzen, als ein Artgenosse es berührt. Ich habe noch nie zuvor ein Schwein so schreien hören. Die Schmerzen müssen unerträglich sein. Um nicht zu verhungern versucht es vorwärts zu robben, um die Exkremente der anderen Schweine zu essen. Es ist so fürchterlich, so etwas sehen zu müssen. Ich filme kurz, was hier passiert und lege die Kamera erstmal zur Seite, um mich um das Schwein zu kümmern. Es schaut mich mit großen, ängstlichen Augen an und bittet förmlich um Hilfe. Doch was soll ich tun? Ich streichle das Schwein und sage zu ihm, dass ich so gerne helfen würde. Doch ich habe weder die Möglichkeit ein zweihundert Kilo schweres Schwein mit gebrochenen Beinen mitzunehmen, noch habe ich die Möglichkeit es irgendwie von seinem Leid zu erlösen. Diese Verzweiflung macht mich extrem traurig und bringt mich ans Ende meiner Kräfte. Es gibt kaum etwas schlimmeres, als jemanden vor sich leiden zu sehen und nicht helfen zu können. Besonders wenn man auch noch mit solch traurigen, flehenden Augen angeschaut wird. Es zerreißt mich förmlich innerlich.

Wieder kommt die Wut in mir auf. Diesmal nicht nur über den Betreiber dieser Anlage, sondern über all die da draußen, die sich nicht dafür interessieren. Die, die da draußen ihr „ach so tolles Leben“ führen, ohne sich auch nur einmal Gedanken darüber zu machen, was sie mit ihrem Konsum eigentlich anrichten.

Ich halte noch kurz inne, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und verschwinde aus dem Raum, ohne noch mal einen Blick nach hinten zu werfen. Das war nun genug! Ich will nur noch hier raus!

Draußen werfe ich dann aber doch noch einen Blick in die großen Mülltonnen. Sie sind allesamt bis oben hin mit toten Schweinen gefüllt, die die Qualen nicht überlebt haben. Sollen wir froh um sie sein, dass sie hier gestorben sind und nicht auch noch zum Schlachter gekarrt und dort auf grauenhafte Weise getötet werden? An diesem Ort ist alles viel zu grauenhaft, um nur einen klaren Gedanken fassen zu können.

Wir gehen zurück ins Auto und fahren heim. Während der ganzen Fahrt muss ich an die Schweine denken, wie sie weiter in der Anlage leiden. Ständig habe ich das Bild von ihnen vor Augen. Besonders von denen, mit welchen ich näheren Kontakt aufgenommen habe. Und ganz besonders denke ich an das Schwein mit den gebrochenen Gliedmaßen. Zwar konnte ich keinem dieser Schweine direkt helfen, doch eins habe ich mir die ganze Zeit in den Anlagen geschworen: Ich werde alles dafür tun, diese Bilder in die Öffentlichkeit zu bringen, damit diese Qual hoffentlich irgendwann mal ein Ende haben wird!